VOLKSDORF Volksdorf war als Zentrum der Walddörfer über all die Jahre auch Mittelpunkt des Musikgeschehens im Nordosten der Hansestadt. Die Stadtteilfeste mit der de Fries- und Fielmann- Bühne, die Discos Blu2000 und Babalu, Riff, Kunstkate, Viva, Haus der Jugend oder Waldhaus und erst kürzlich das NDR Festival: Man musste nicht unbedingt in die Stadt fahren, um was zu erleben. Und dann natürlich das Lütt Huus. Die legendäre Musik-Kneipe von Pianist Wolfram „Lüdel“ Luetjens war 20 Jahre lang Pilgerort für alle, die gerne Jazz, Blues und Rock’n’Roll live bei einem kühlen Blonden genießen wollten. Ich war mitten drin, ich war der Drummer der Hausband „Royal Garden Jazzmen“.
Von Matthias Damm
Der Live-Jazz wäre vielleicht nie nach Volksdorf gekommen, hätte es die Radolf Stuben in Rahlstedt nicht gegeben. Dort trafen sich nach Ende der Aufnahmen im Studio Hamburg oft so illustre Super-Mucker wie Bob Lanese (Trompete) und Hermann Hausmann (Piano) von der James Last Band, um noch ein wenig zu jammen. Wirt Rolf Pietryga stand als Bassist grundsätzlich zur Verfügung und irgendwie ergab sich immer eine komplette Band. Auch Wolfram Luetjens aus Volksdorf spielte dort häufig am Piano, gelegentlich setzte ich mich am Schlagzeug dazu.
Dann trafen Ende der 70er-Jahre an einem Tag drei Dinge zusammen: Die Radolf Stuben machten dicht, die Kneipe Lütt Huus an der Eulenkrugstraße 80 suchte einen neuen Pächter und Wolfram verlor seinen Job als Elektroniker. Wolfram, Gitarrist Bernd und ich waren damals eine Junggesellen-Mucker-WG in Lüdels Haus Im Sorenfelde, also praktisch die Amateur-Ausgabe der berühmten WG mit Otto Waalkes, Udo Lindenberg und Marius Müller-Westernhagen in der Innenstadt.
An jenem denkwürdigen Abend saßen wir zusammen und hatten nach ein paar Bieren eine geniale Lösung. Ich: „Die Jazzkneipe in Rahlstedt ist Geschichte, du suchst einen neuen Job, hier ist er: Du pachtest ab dem nächsten Ersten das Lütt Huus, stellst dein Piano dort rein und wirst Jazzkneipen-Wirt. So kommt der Jazz nach Volksdorf!“ Wolfram: „Mach ich!“ Kein Witz!
Ab dem 1. August 1980 war das winzige Häuschen zwischen Hoisberg und Foßredder mit seinem durchgehenden Angebot an Live-Musik jeden Abend rappelvoll. Die Musiker waren froh, wieder eine Bühne zu haben. War mal keine Band gebucht, setzte sich Lüdel ans Klavier, einer der Gäste zapfte und der Abend war gerettet. Hochzeiten und Geburtstage wurden hier groß gefeiert und bei Top-Bands wie Abbi Hübner’s Low Down Wizzards mussten die zu spät gekommenen Stammgäste ausnahmsweise mal hinten durch das Küchenfenster einsteigen, vorne an der Straßenseite blockierte eine Traube von Fans jeden VIP-Eintritt. Es hatte gedauert, bis die Jazzclub- und Musikkneipen-Szene aus der Innenstadt zu uns rüber schwappte – dafür aber nun richtig.
Von oben in den Keller
Zwei Jahre dauerte die Musikkneipen Glückseligkeit, dann wurde bekannt, dass die Autowerkstatt von Peter Heyn an der Ecke Foßredder in Vörn Barkholt umzieht und auf der Ecke die GFA ein Geschäftshaus plant. Lüdel wünschte sich mehr Platz für seine Gäste, verkaufte dem Investor das mittlerweile erworbene Lütt Huus und bekam im Gegenzug sein neues Zuhause für die Jazzkneipe im Keller unter der GFA. Der große Vorteil: Der Raum für die Bühne und die Gäste war deutlich größer und Kellerkneipen waren Anfang der 80er-Jahre voll im Trend. Nachteil: die Entlüftung. Wer dabei war, erinnert sich an diesen beißenden Zigaretten-Bier Geruch.
Täglich Live Musik
Das „Wat löpt“ Programm des Keller Lütt Huus versprach jeden Abend Live-Musik, zum Teil mit sehr prominenten Bands und Solisten: Olli Dittrich saß bei Susi’s Schlagersextett am Schlagzeug, John Law & The Tremors waren jeden Monat dort, New Orleans Quarter, Abbi Hübner, Chris Barber und Tony Sheridan sorgten immer für ausverkauftes Haus. Bei meinem Auftritt mit der Radio Hamburg Band sollen knapp 300 Leute im Keller gewesen sein. Um sehen zu können, standen die hinteren auf den Stühlen und von der Decke tropfte das Kondenswasser. Für grandiose Stimmung und offene Münder sorgte unser Gitarrist, als er sich bei seinem Solo im Chuck Berry Entengang auf einem nur 40 Zentimeter breiten Abstelltresen durch die Biergläser schlängelte.
Schüsse auf dem Klo
Es gab viele legendäre Abende – und unter den Sonntags-Frühschoppen einen herausragenden. Mit dabei auch die Gäste, die mit einem Rolls Royce vorfuhren und sich später am Tage noch ihrem harten Geschäft in der Abteilung Rotlicht auf dem Kiez widmen wollten. Zur Einstimmung würde man gerne Champagner trinken, ob der denn auch schön kühl sei? Der war weder gut gekühlt noch vorhanden – Champagner in einer Musikkneipe …. Lüdel war natürlich gut vernetzt, und das ehemalige „Italia“ (heute Villagio) konnte kurzfristig einige Flaschen liefern. Um sich die Wartezeit zu vertreiben, hat dann einer der Herren auf dem Klo ein Urinal durch einen gezielten Schuss aus seiner Pistole zerbröselt. Tat der Stimmung aber keinen Abbruch, der Schaden wurde durch ein sehr üppiges Trinkgeld ausgeglichen.
Weg war er, Tochter Judith übernimmt
Und dann überraschte uns Lüdel tatsächlich Ende September 1991 alle: Von heute auf morgen war er sich sicher, dass ihm das kalte Wetter in Hamburg nicht dauerhaft gut tue. Er als dünner Hering brauche jetzt dauerhaft Wärme, sagte er und machte sich wenige Tage später als Auswanderer auf den Weg nach Fuerteventura. Sein neuer Job dort: TV-Satelliten- Anlagen auf die Ferienhäuser bauen. Und das Lütt Huus?
Es fügte sich, dass Lüdels Tochter Judith Zeit und Lust hatte, die Kellerkneipe fortzuführen. Das machte sie mit großem Engagement, mit ihr kam nach und nach auch jüngeres Publikum in die Kneipe. Immer zum Wochenstart gab es einen Disco-Abend mit großem Zulauf, während die Zeit der Livemusik in Kneipen generell langsam zu Ende ging. 2021 gingen dann endgültig die Lichter aus. Die Erinnerungen bleiben – sicher nicht nur bei mir.
Last modified: 7. September 2022