Kristin Hesse (54) und Sharif (31) gehen seit fast drei Jahrzehnten zusammen durchs Leben. Die eine auf zwei Beinen, der andere auf vier Hufen
POPPENBÜTTEL/HUMMELSBÜTTEL Kristin Hesse und Sharif stehen kurz vor der Perlenhochzeit – sozusagen. Seit 29 Jahren sind die beiden ein eingespieltes Team. Er ein stolzer Schimmel und sie eine gestandene Grafikerin aus Poppenbüttel. „Dass Sharif das Pferd meines Lebens werden würde, hätte ich damals auch nicht gedacht“, sagt die 54-Jährige. Schon als Jugendliche hat sie die Ferien auf einem Reiterhof im Emsland verbracht, die große Freiheit bei Ausritten und am Lagerfeuer genossen. Bei einem Revival-Wochenende für Erwachsene hat es zwischen Strohballen, Stallgeruch und Sattelkammer dann gefunkt.
„Mir war klar, dass ich ohne Sharif, der auf dem Reiterhof geboren wurde, nicht nach Hause fahren möchte“, sagt Kristin Hesse. Im Nachhinein ein sehr spontaner Entschluss mit weitreichenden Folgen. Es war quasi das Ja-Wort für eine sehr lange Partnerschaft zwischen Mensch und Tier, denn mit 31 Jahren ist Sharif nun schon ein sehr betagter Vierbeiner. Schon in den „Flitterwochen“ ist Sharif tatsächlich ein bisschen fremd gegangen. Denn: „Sharif ist ein richtiges Herdentier. Er liebt die Gesellschaft von anderen Pferden, fühlt sich in der Gemeinschaft pudelwohl. Anfangs hat er mich gar nicht so beachtet, wie ich mir das gewünscht hätte. Alle Pferde-Kollegen waren wichtiger als ich“, erinnert sich Kristin Hesse und klingt dabei keineswegs traurig, sondern stolz. Denn Sharif ist ein sehr sozialer Wallach, der zum Boss der Pferdebande wurde und sich mit seiner empathischen Art und seinem Gerechtigkeitssinn schnell einen guten Ruf erarbeitete. „Wenn ein schwächeres Pferd gemobbt wurde, ist er oft dazwischen gegangen“, erzählt die Besitzerin.
Seine gesellige Ader macht sich auch bei Ausritten bemerkbar. Treffen Kristin Hesse und er bei Ausritten fremde Pferde, würde Sharif sie am liebsten einladen und seine tierische Familie vergrößern. „Er wiehert ihnen hinterher, als würde er sagen wollen: Hej, kommt doch alle mit, wir sind eine super Truppe im Stall“, erzählt die Reiterin. Mittlerweile jedoch hat sich Sharif in die zweite Reihe zurückgezogen und das Feld einem jüngeren Kollegen überlassen. Mit viel Erfahrung schaut sich der 31-jährige Wallach nun an, wie der Nachfolger die Herde auf Trab hält, Streit schlichtet, Zuneigung verteilt. Eben all die Aufgaben erledigt, die er so viele Jahre übernommen hatte.
Dass Sharif sogar das Leben von Kristin Hesses Sohn nachhaltig beeinflusst hat – er ahnt es wohl nicht einmal. Der heutige Student hat in seiner Kindheit viel Zeit im Stall verbracht, saß aber schon damals am liebsten auf dem Trecker des Stallbesitzers, der auch Landwirt ist. „Für meinen Sohn stand schon ganz früh fest, dass er auch Landwirt werden möchte. Und das studiert er nun auch“, erzählt die 54-Jährige.
Mittlerweile ist es ruhiger in Sharifs Stall geworden. Das Alter zwackt in den Gelenken, mit den Zähnen fällt das Beißen schwer. Doch der Appetit ist nach wie vor groß. Und so mischt Kristin Hesse ihrem langjährigen Begleiter jeden Abend und Morgen liebevoll Seniorenkost. Eingeweichtes Kraftfutter, ergänzt durch gesunde Gemüsesäfte und frisches Obst. Mit der Aussicht auf eine weiche Banane kommt richtig Leben in den Senior. Wie ein ganz Junger flitzt er dann von der Weide Richtung Stall, wenn seine Besitzerin ihn morgens und abends mit einem Pfiff zu sich ruft. Kurze Begrüßung, dann ausgiebiges Frühstück oder Abendbrot. „Man braucht dann immer ein bisschen Geduld, das Essen dauert länger als früher“, erklärt Kristin Hesse mit einem liebevollen Unterton. Während Sharif es sich schmecken lässt, blättert sie in einem Fotoalbum, das die gemeinsame Zeit von Mensch und Tier Revue passieren lässt. Gemeinsame Ausritte, Reiter-Urlaube, Hoffeste – was für eine schöne, gemeinsame und wertvolle Zeit.
Last modified: 5. Februar 2021