Atemwegsinfektionen nehmen auch in Hamburgs Nordosten rapide zu
ALSTERTAL/WALDDÖRFER Normalerweise schlägt das RS-Virus im Winter zu. Doch in diesem Jahr ist das Virus, das vor allem für Säuglinge, Kleinkinder und Kinder gefährlich ist, deutlich früher unterwegs. Schon im Sommer wurden laut Robert Koch Institut (RKI) Infektionen gemeldet. Derzeit werden vor allem Kitas – auch in den Walddörfern und im Alstertal – von den Viren heimgesucht. Der vermutete Grund: Kinder sind durch die Lockdowns und den fehlenden Kontakt zu anderen nicht ausreichend immunisiert.
von Anja Krenz
Zunehmend kranke Kinder, alarmierte Eltern, halbleere Kitas, überlastete Kinderarztpraxen – neben dem allgegenwärtigen Corona-Virus greift aktuell ein weiterer Erreger um sich: das Respiratorische Synzytial-Virus, kurz RS-Virus, das besonders im Winter die Atemwege angreift. Übertragen wird es per Tröpfchen- oder Schmierinfektion, die Inkubationszeit beträgt etwa fünf Tage. Laut RKI liegt die Zahl der Ein- bis Vierjährigen, die mit schweren Atemwegsinfektionen in Kliniken eingewiesen werden, im Herbst bei etwa 70 pro Woche. Derzeit seien es jedoch doppelt so viele. Dr. Joachim Lemke, Oberarzt der Pädiatrie (Kinder- und Jugendmedizin), erklärt, dass die Infektion vor allem Säuglinge in den ersten sechs Monaten, „aktuell aber auch ältere Säuglinge und Kleinkinder“ betreffe.
Der Grund: Die letzten Verzweigungen der Atemwege sind in diesem jungen Alter noch besonders eng und können verstopfen. Dies gelte ganz besonders für ehemalige Frühgeborene. Gehandelt werden muss, so Dr. Lemke, wenn die Trinkleistung nachlässt, Atemaussetzer, sogenannte Apnoen, auftreten und das Kind schlapp und müde wirkt – ein deutliches Zeichen für eine mangelnde Sauerstoffversorgung, die für den gesamten Körper, vor allem für das Gehirn gefährlich ist. Dr. Lemke: „Gerät der Säugling in Atemnot oder läuft er blau an, rufen Sie bitte umgehend die 112 an.“ Im Krankenhaus werde das Kind mit Sauerstoff versorgt und erhalte unter Umständen fiebersenkende Mittel. Die stationäre Aufenthaltsdauer bei RSV-Infektionen liege durchschnittlich bei fünf Tagen.
In Hamburgs Norden sind die Kitas leer
Als Grund für den starken Anstieg der Infektionen wird der Lockdown im vergangenen Winter und Frühling angenommen. Durch die Kita-Schließungen und ausgeprägte Hygiene-Maßnahmen wurden neben den Corona-Ansteckungen auch RSV-Infektionen verhindert. So konnten die Kinder keine Abwehrkräfte gegen das Virus entwickeln. Laut Bezirksamt Wandsbek besteht für die RSV-Infektionen keine Meldepflicht. Daher seien keine zuverlässigen Fallzahlen bekannt.
Aus den Kitas im Alstertal und in den Walddörfern ist zu hören, dass der Krankenstand unter den Kindern viel höher ist als sonst um diese Zeit. In einer Poppenbütteler Kita blieben in der vergangenen Woche sogar zwei Drittel der Kinder zu Hause. Auch Erzieher und Leitungskräfte seien vielfach betroffen. Die Kita Sasel-Haus hat das auch zu spüren bekommen. Leiterin Angela Dieseldorff: „Am vergangenen Montag sah es schon wieder ganz gut aus, aber in der letzten Woche war tatsächlich die Hälfte der Kinder krank.“ Um welchen Erreger es sich handelt, kann sie nicht sagen, „aber er ist sehr ansteckend.“ Die Kinder hätten Fieber, teils mit Husten oder anderen Erkältungserscheinungen. Um die Infektionen in den Griff zu bekommen, wurden die Hygienemaßnahmen in der Kita intensiviert: „Wir reinigen vermehrt das Spielzeug und verschließen Räume für 24 Stunden.“ Dank des guten Wetters sei man viel draußen, da die Ansteckungsgefahr in den Innenräumen größer sei. Einige Erzieher trügen Masken, da sie sich so sicherer fühlten.
In Pandemiezeiten sind die Eltern behördlicherseits aufgefordert, ihre Kinder vom Arzt testen zu lassen oder einen Schnelltest vorzunehmen, bevor sie sie wieder in die Kita bringen. Außerdem besagen die Vorschriften, dass Kinder zwei Tage symptomfrei sein müssen, bevor sie nach einer Erkrankung wieder in die Kita kommen dürfen. Angela Dieseldorff bittet darum, sich daran zu halten: „Für das Kind selbst, damit es wieder richtig gesund ist, aber auch für alle anderen wäre das wichtig.“
Gerade jetzt sind viele Kinderärzte im Urlaub
Wer aktuell versucht, telefonisch bei den Kinderärzten durchzukommen, braucht Geduld. Der Andrang ist groß, die Leitungen sind vielfach besetzt. Verschärfend kommt hinzu, dass derzeit Herbstferien sind und selbstverständlich auch Ärzte eine Auszeit brauchen. Von acht angefragten Kinderärzten im Alstertal und den Walddörfern waren in der vergangenen Woche sieben im Urlaub, einer war selbst erkrankt. Auf den Anrufbeantwortern wurden zwar Vertretungspraxen genannt, doch diese waren meist weiter entfernt und stark frequentiert. (ak)
Last modified: 13. Oktober 2021