Ein Gespräch mit dem GOA-Schulleiter über die Rückkehr zum Distanzunterricht
SASEL Auch Dr. Martin Widmann, Schulleiter am Gymnasium Oberalster (GOA), hatte die Hoffnung, dass Lehrern, Schülern und deren Eltern ein erneutes Homeschooling erspart bleiben würde. Doch mit der Aufhebung der Präsenzpflicht am 16. Dezember mussten alle Beteiligten zum Distanzunterricht zurückkehren. Wie das funktioniert? Wir haben nachgefragt.
Von Anja Krenz
Ende August sagten Sie in Bezug auf die zweite Welle und den digitalen Distanzunterricht: „Wir könnten morgen starten.“ Ging es tatsächlich problemlos? Oder gab bzw. gibt es Probleme mit dem Schulserver „Iserv“?
Dr. Martin Widmann: Am ersten Tag, also am Dienstag vor einer Woche, gab es massive Probleme in der Performance. Es gab Abbrüche von Videokonferenzen und das Hochladen von Aufgaben funktionierte nicht. Zum Glück haben wir speziell für Videokonferenzen eine Ausweichmöglichkeit mit einem eigenen Server im Hause: „Jitsi Meet“ erfüllt die Datenschutzauflagen, ist extrem datensparsam bei der Anmeldung und sehr anwenderfreundlich.
Wie ist die Digitalisierungs-Quote bei Ihren Schülern und Lehrern?
Die liegt bei 100 Prozent. Da wir die Gelder für die digitalen Endgeräte komplett abgerufen haben, sind wir sehr gut ausgerüstet. So konnten wir unter anderem 25 Laptops an Schüler verleihen, die keinen eigenen Computer besitzen. Lehrer haben in der Regel sowieso einen Computer zu Hause. Am GOA gibt es also niemand, der nicht digitalisiert ist.
Wie organisiert das GOA den Distanzunterricht?
Die Lehrkräfte erläutern den Schülern im Vorfeld, was sie erwartet. Zum Beispiel erhalten die Schüler Aufgaben im Aufgabenmodul, müssen diese bearbeiten und sich dazu im digitalen Forum austauschen. Oder sie werden informiert, dass sie sich beispielsweise um acht Uhr in einem virtuellen Raum von Iserv oder Jitsi einfinden sollen. Dort findet dann digitaler Unterricht statt – es werden Referate gehalten, der Lehrer kann Sachverhalte vertiefen und in kleineren Räumen sogar Gruppenarbeit und Austausch zu Ergebnissen ermöglichen. Allerdings ist Videounterricht nicht immer möglich. Denn zum einen werden die WLAN-Kapazitäten der Familien zu Hause belastet, vor allem, wenn auch die Eltern im Homeoffice sind. Zum anderen ist die stundenlange Bildschirmarbeit für alle Beteiligten sehr anstrengend.
Wie läuft ein digitaler Schultag ab?
In der Regel folgen wir beim Fernunterricht dem Stundenplan. Dies gilt besonders für die jüngeren Schüler, die diese Struktur benötigen. Für sie gibt es also meistens einen dem Stundenplan entsprechenden digitalen Unterricht und Aufgaben. Ältere Schüler erhalten auch schon mal Langzeitaufgaben, die sie zeitlich flexibel erledigen können, und zusätzliche Angebote von digitalen Sprechstunden außerhalb des normalen Stundenplans.
Ein typischer digitaler Schultag einer 7. Klasse am GOA
8.00 Uhr. Englisch: Videokonferenz mit Gruppenarbeit im Modul „Forum“ (z. B. Vergleich Past Tense/ Present Perfect)
9.30 Uhr: Pause
9.50 Uhr. Mathematik: Bearbeiten von Aufgaben im Aufgabentool, zum Teil bereits Abgleich mit Lösungen, z. B. Wiederholung rationale Zahlen
11.20 -11.40 Uhr: Pause
11.40 -13.10 Uhr. Sport: Übungen laut Wochenplan, z. B. Ausdauerlauf, Gymnastik und Krafttraining – kann zu Hause oder auch draußen absolviert werden.
14.00 Uhr. Geographie: Videokonferenz, z. B. Referate zu den Klimaregionen der Erde
Werden im virtuellen Raum auch Klassenarbeiten geschrieben?
Digitale Klausuren sind nicht erlaubt. Digitale Klausurersatzleistungen, wie kleine Tests, Referate oder Kolloquien, sind aber in einigen Fächern möglich.
Bedeutet der Distanzunterricht eigentlich Mehrarbeit für die Lehrer?
Ja, da der Unterricht neu strukturiert werden muss, neue Rückmeldesysteme wieder eintrainiert werden müssen und deutlich mehr Kommunikation notwendig ist. Stressig wird es, wenn das WLAN der Schüler zu schwach ist. Dann müssen diese technischen Probleme überbrückt werden. Ein weiterer Stressfaktor ist, zu erkennen, dass man den Lernstoff eben doch nicht so vermitteln kann, wie es idealerweise nötig wäre. Vor allem die Klassenlehrkräfte sind am Limit, da sie neben zusätzlichen Koordinationsaufgaben einzelne Schüler und deren Familien intensiv betreuen müssen, damit kein Schüler auf der Strecke bleibt.
Was haben Sie Ihren Kollegen mit auf den digitalen Weg gegeben?
Ich habe die Lehrkräfte gebeten, bei der Benotung die Situation der Schüler zu berücksichtigen und sie nicht mit Arbeit zu überfrachten.
Und welche Tipps haben Sie für die Schüler?
Sie sollten den Schulalltag einhalten, sich einen Pausenwecker stellen und zwischendurch an die frische Luft gehen. Wenn zu Hause die Lage eskaliert, sollten sie sich jemandem mitteilen, dem sie vertrauen. Das können Freunde oder Mitschüler sein, aber auch ihre Klassenlehrkräfte oder zum Beispiel die Großeltern.
Was empfehlen Sie Eltern, die durch Homeoffice und die Kinderbetreuung stark beansprucht werden?
Niemand ist perfekt. Seien Sie nachsichtig mit sich selbst und Ihren Kindern und zeigen Sie Verständnis. Das hilft Ihren Kindern, wieder aus stressigen Situationen herauszufinden. Wenn Sie oder Ihre Kinder eine Aufgabe nicht verstehen, fragen Sie rechtzeitig und lieber einmal mehr bei den Lehrkräften nach, da es Schüler gibt, die sich alleine nicht trauen. Und machen Sie etwas Schönes mit den Kindern! Als Vater dreier schulpflichtiger Kinder sehe ich, wie anstrengend das für alle Beteiligten ist. Daher gehen mein 15-jähriger Sohn und ich jeden zweiten Abend joggen. Dabei kommen wir dann auch ins Gespräch.
In die Zukunft geguckt – was würden Sie sich von der Stadt wünschen?
Eine echte digitale Strategie – mit einem professionellen Partner, der die Schulbehörde unterstützt und vor Fehlern bewahrt. Jede Schule sollte durch eine eigene IT-Fachkraft professionell unterstützt werden, doch das ist nicht geplant. Weiterführende Schulen sind praktisch mittelständische Dienstleistungsunternehmen. Jedes Unternehmen hat eine eigene IT Abteilung – wir haben einen Lehrer, der neben seinem Unterricht als IT-Administrator fungiert. Das ist nicht professionell. Außerdem wünsche ich mir ein echtes G9 – auch für Gymnasien. Der Druck für die Schüler ist hoch, während der Corona-Zeit noch höher und wird durch die Oberstufenreform eher wachsen. Es wird diskutiert, dass das Renteneintrittsalter bei 68 Jahren liegen soll. Warum sollen dann die Schüler schon mit 17 Jahren die Schule verlassen? Wenn uns Bildung wichtig ist, dann sollte dies auch für die leistungsorientierten Schüler auf den Gymnasien gelten.
Vielen Dank für das Gespräch
Last modified: 13. Januar 2021